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Singverbot

Strenges Singverbot vor 100 Jahren in Wiesental

Gesang gehörte in die Kategorie des ruhestörenden Lärms

Waghäusel-Wiesental. (ber).
Gern, schön und mitunter kräftig sangen die Wiesentaler schon immer. 1818 findet sich der erste Hinweis auf einen kirchlichen Sängerchor. 1862 entstand der Sängerbund, selbst der 1873 gegründete Veteranenverein führte eine eigene Sängerabteilung. Besonders leidenschaftlich schmetterten die Wiesentaler an den jährlichen Feiern zu Kaisers Geburtstag. 
Doch um die Jahrhundertwende wurde die Singerei der Obrigkeit zu viel. Unter der Überschrift "Das Singen in den Wirthschaften in Wiesenthal betreffend" wandte sich das Großherzogliche Bezirksamt in einem Mahnschreiben an das Bürgermeisteramt. Die Behörde forderte die Gemeinde kurz und bündig auf, zusammen mit der örtlichen Gendarmerie-Station darüber zu wachen, dass der "ruhestörende Lärm" an den Nachmittagen der Sonn- und Feiertage sowie zur Zeit der Nachtruhe in den Wirtshäusern, auf den Straßen und öffentlichen Plätzen unterbleibe.
Ob dieses Ansinnens war wohl die Gemeindeverwaltung so geschockt, dass sie fast drei Jahre für eine Reaktion brauchte. Schließlich gab Bürgermeister Vinzenz Mayer, selbst Mitglied des Sängerbunds, dem


 Drängen nach und - zu Beginn der Sommerzeit - eine Anweisung heraus: Das Singen in den Wirtschaften sei bei geöffneten Fenstern ab sofort strengstens verboten, ebenso "alles Singen" nach zehn Uhr abends und vor allem auf den Ortsstraßen." Und weiter hieß es: "Wirthe, welche das Singen bei geöffneten Fenstern oder nach zehn Uhr dulden", müssten mit einer empfindlichen Strafe von zehn Mark pro Vorfall rechnen. Mayer bestellte die Wiesentaler Gastronomen zu sich ins Rathaus ein und ließ sich die Kenntnisnahme per Unterschrift bescheinigen.
1890 hatte des Pfarrers Sängerchor nach einer Kirchenvisitation ins Stammbuch geschrieben bekommen, dass "der Gesang manches zu wünschen übrig lässt". Doch wenige Tage nach Mayers Singverbot traten die erprobten Sänger des Sängerbunds aus der Gemeinde Wiesental, wo laut Bezirksamt der Gesang mit ruhestörendem Lärm gleichzusetzen ist, erstmals zu einem Preissingen an und holten prompt eine Silbermedaille als Preis für ihre viel gelobte Sangeskunst.

(Schmidhuber)